«Wir müssen unsere eigene Geschichte erzählen»

07-06-2021

Nadine Ndjoko Peisker ist die Gründerin der Firma Ownbrown und damit eine wichtige Wegbegleiterin der ersten nude-Strumpfhosen für Schwarze Frauen. Sie erzählt mit dem Produkt ihre eigene Geschichte und sorgt für Gerechtigkeit.

Nach jahrelanger frustrierter Suche fasst Nadine Ndjoko Peisker einen Entschluss: Sie kann nicht länger warten, sie muss selber Hand anlegen. Die Bielerin hat alle möglichen Geschäfte und Online-Shops abgeklappert, um Strümpfe zu finden, die ihrem Hautton entsprechen. Als Anwältin verlangt man von ihr, dass sie zur Arbeit schicke Kleidung trägt. Es besteht die stillschweigende Regel, als Frau einen Jupe, einen Rock oder eine Stoffhose zu tragen. «Stoffhosen passten mir nicht, ich wollte Jupes tragen, aber es gab nun mal keine passenden Strumpfhosen», erklärt sie.

Nadine Ndjoko ist zu dieser Zeit eine der wenigen Schwarzen Anwältinnen der Schweiz. Sie erkennt, dass es bei der Abwesenheit von passenden Strümpfen nicht nur um Strümpfe geht, sondern um den Platz der Schwarzen Frau in der Gesellschaft. Sie beschliesst, nicht länger zu suchen und möchte sich nicht mit dieser Situation zufriedengeben. Im Jahr 2015 gründet Nadine Ndjoko ihre Firma namens «Ownbrown» und beginnt die erste Linie von Unterwäsche und Strümpfen zu produzieren. Diese Modelinie gibt es nicht nur in verschiedenen Grössen, sondern auch in verschiedenen Hauttönen.

Nude und neutral

Die heute 42-Jährige wurde in Cluj Nopaca in Rumänien geboren, und kam mit drei Jahren in die französische Schweiz. Ihre Eltern kommen aus dem Kongo. Während es in der zentralafrikanischen Republik hauptsächlich aus Temperaturgründen keine Strümpfe brauche, gehören sie hierzulande zur eleganten und respektvollen Kleidung. Auch in Ndjokos Umfeld ist klar: Strümpfe sollen entweder «schwarz» oder «nude» sein.
«Nude» wird auf Schweizer Strumpfhosenpackungen meist mit «Hautfarbe» übersetzt. «Das impliziert, dass die natürliche, nackte Hautfarbe die weisse ist. Was aber habe ich denn? Plastik an den Beinen?» Nadine Ndjoko lacht, heute kann sie das. Aber noch vor ein paar Jahren frustrierte sie die Erkenntnis, als Schwarze Frau nicht mitgedacht zu werden. Denn die dunkelbraune Version, die es als Alternative gibt, entspreche bei Weitem nicht ihrem Hautton. «Mit dem Grau, das in der braunen Strumpfhose mitschimmert, sah es aus, als wäre ich in einen Aschenbecher gefallen.»

Die «nude»-Fashionshow

Im Jahr 2014 präsentierte die Luxusmarke Chloé ihre neue Collection mit dem Thema «Nude». «An der Fashionshow gab es ausschliesslich weisse Models und sie präsentierten allesamt Kleidung im rosa-beigen Ton. Für mich war das wie eine Ohrfeige», so Ndjoko. Ihr Studium und das Anwaltspatent hatte sie mit dem Ziel absolviert, sich als Anwältin für Gerechtigkeit einzusetzen. Dass sie diesem Ziel in einer ganz anderen Branche nachkommen würde, kristallisierte sich erst nach mehreren Berufsjahren heraus. «Ich habe mich schon immer für Mode interessiert, aber vorerst dachte ich nicht daran, es zu meinem Beruf zu machen.»

Nach langer Recherche, vielen Gesprächen und Versuchen, gründete sie schliesslich die Firma Ownbrown mit Sitz in Biel und London. Die eigene Marktforschung ergab, dass Strumpfhosen in verschiedenen nicht-weissen Hauttönen weltweit eine Seltenheit sind. Verglichen dazu gäbe es für weisse Frauen unzählige verschiedene Varianten. Im englischen Wörterbuch sei der Begriff «Nude» bis dahin mit «Caucasion Skin tone» übersetzt gewesen. Ähnlich wie die deutsche Übersetzung «Europide» handelt es sich dabei um eine nicht mehr gebräuchliche rassenkundliche Sammelbezeichnung aus dem 19. Jahrhundert. «Ich war schockiert. Strumpfhosen mögen nebensächlich und alltäglich scheinen, doch erkennt man ihr Statussymbol dadurch, dass sie in gewissen Arbeitskontexten zur Norm gehören. Schwarze Frauen von diesen Kontexten auszuschliessen bedeutet, dass man davon ausgeht, dass sich Schwarze Frauen Luxusunterwäsche nicht leisten können, oder aber, dass sie nicht in erwähnten Arbeitsumfeldern tätig sind.» Nadine Ndjoko erklärt damit die Verstrickung von Rassismus in Sprache, Kultur und Alltag in einem einzigen Kleidungsstück. Strumpfhosen hätten eine kulturelle Bedeutung und würden eine gewisse Position einer Frau in der Gesellschaft repräsentieren.

Ndjoko ist nicht die Einzige, die sich daran stört. Kurze Zeit nach der Fashionshow von Chloé kommt es in Amerika und England zu einer Petition, um diese Definition zu ändern. «Heute spricht man von neutral», sagt sie und lächelt kopfschüttelnd. Umso grösser war die Genugtuung für Nadine Ndjoko, als sie 2019 ihre Linie auf dem Laufsteg an der London Fashion Week präsentieren konnte. Im gleichen Jahr durfte sie in England mit Ownbrown auf Channel 4 in der bekannten Startup Show «Buy it now» teilnehmen. «Mein Business kommt langsam ins Rollen, was zeigt, wie gross das Bedürfnis ist», sagt sie stolz. Mit der Firma «Ownbrown» suchte sie nicht nur nach ihrem eigenen Hautton, sondern auch nach einer Möglichkeit, ihre Geschichte zu erzählen. «Ich möchte keinen Kompromiss, ich möchte meinen Hautton tragen und stolz darauf sein. Bisher mussten wir uns immer mit einem Mittelweg zufriedengeben, oder selber eine Alternative finden.» Auch als Schwarze Frau soll man sich im Regal bedienen können.

Repräsentation in der Gesellschaft

Heute praktiziert Nadine Ndjoko ihren erlernten Beruf als Anwältin nicht mehr. Die 42 – jährige lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei fast erwachsenen Söhnen in Biel und konzentriert sich ganz auf ihre junge internationale Firma.

Die von ihr entwickelten Strumpfhosen und die Unterwäsche sind für die meisten nicht-weissen Frauen weltweit immer noch eine Neuheit. Die Nachfrage ist gross und nach nur wenigen Wochen sind internationale Fashionblogs- und Magazine auf die Produkte aufmerksam geworden. Auch die Bewegung «Black lives matter» hätte dazu beigetragen, dass solche versteckten Rassismen und die Lösungen dazu mehr Aufmerksamkeit erhalten. «Seit 2020 sind sogenannte Blackownedbusinesses, das heisst, Unternehmen, die von Schwarzen gegründet und geführt werden (oftmals für ein Schwarzes Publikum), mehr ins Zentrum gerückt», so Nadine Ndjoko erfreut. Sie fasst sich kurz ins Haar, presst die Lippen zusammen und sagt: «Obwohl, in der Schweiz beginnen wir wahrscheinlich erst gerade. Wir stehen ganz am Anfang der Diskussion.» Trotzdem sei sie davon überzeugt, dass der Markt, indem sie tätig ist, zunehmen wird. «Es gibt eine neue Generation von jungen Menschen in der Schweiz, die Eltern mit kulturell unterschiedlichen Hintergründen haben. Diese Menschen fragen hemmungslos nach Repräsentation in allen Bereichen der Gesellschaft und das ist gut so. Sie haben eine Antwort verdient. Sie sind stolz darauf, Schwarz zu sein und ihre eigene Geschichte zu erzählen.» Auch Ndjoko möchte ein anderes Narrativ ermöglichen, eine positive Geschichte erzählen und ein Vorbild sein.

Das Unternehmen sei noch immer ein Startup und habe entsprechend mit den Herausforderungen zu kämpfen, Ndjoko ist aber zuversichtlich: «Wir gehen den richtigen Weg, aber es braucht Zeit, um Mentalitäten zu ändern.»

Erstmal im online-Regal


Noch muss man sich trotzdem gedulden, denn in herkömmlichen Regalen findet man die Produkte noch nicht. In vielen Grossgeschäften gehe man davon aus, dass es solche Strumpfhosen bereits gäbe und lehnt den Vertrieb daher ab. Ndjoko legt den Kopf in den Nacken und lacht. «Dass sie nicht wissen, dass dem nicht so ist, zeigt einfach wie wenig Schwarze Menschen an solchen Aussagen und Entscheidungen beteiligt sind.» Im Haarsalon Tribus Urbaines in Lausanne kann man Unterwäsche und Strumpfhosen auch vor Ort kaufen, ansonsten findet man das gesamte Sortiment auf der Webseite www.ownbrown.com. Alle Produkte gäbe es in verschiedenen Farben und unterschiedlichen Grössen.

Nachhaltigkeit und Empowerment
Auch in der Produktion möchte Nadine Ndjoko Peisker ihren Werten und Überzeugungen treu bleiben: Die Strümpfe werden in Italien produziert, die Unterwäsche in Portugal. «Diese bestmögliche Lokalität ist für mich elementar. Zudem lege ich einen grossen Wert auf den respektvollen Umgang mit meinen Partnerinnen. Ich konnte bezüglich der Produktion auf viel Unterstützung von Professionellen in der Branche setzten. Unterwäsche herzustellen ist eine sehr herausfordernde Aufgabe. Um beispielsweise einen BH herzustellen, braucht es vier Leute.» Die hohe Qualität der Produkte zeichne sich durch die jahrelange Erfahrung der Arbeiterinnen aus. Der Brand soll nicht nur für die Kundschaft eine empowernde Wirkung haben, sondern auch für die Herstellenden. In einem nächsten Schritt möchte Ndjoko noch mehr Grössen anbieten können, damit die Marke so inklusiv wie möglich wird.

Selbstvertrauen als Geschenk


«Durch die Marke erzähle ich meine eigene Geschichte. Wir Frauen sollten das viel öfters tun. In der Modebranche entscheiden nach wie vor noch viel zu viel die Männer über unsere Mode und damit über unseren Körper. Ich möchte, dass wir selber unsere Geschichten erzählen, selber entscheiden. Unabhängig vom Patriarchat und unabhängig vom weissen Blick. Nur so lernen die Menschen, was für uns wichtig ist.» Ndjoko wollte in ihrem Beruf als Anwältin als genauso professionell gesehen und behandelt werden, wie ihre männlichen und weiblichen Kollegen, heute kann sie das. «Die richtigen Dessous und Strümpfe helfen bei der Wahl des perfekten Outfits für den Tag, was wiederum dazu beiträgt, dass man selbstbewusst und positiv in den Tag starten kann. Ich denke, Freiheit und Selbstvertrauen sind schöne Geschenke und jede verdient es, sich so zu fühlen», so die erfolgreiche Unternehmerin.

Anja Glover ist eine Schweizer Journalistin, Autorin und Gründerin der Agentur Nunyola. Sie hat einen Hintergrund in Kulturwissenschaften und Soziologie und setzt sich als Afrofeministin für Gleichberechtigung ein.