23-07-2019

Weder Schwarz noch weiss

Autorin Anja Glover bezeichnet sich als Afro-Europäerin. Dabei geht es ihr nicht um die Hautfarbe.

von Anja Glover

Es gibt kaum einen Ort auf dieser Welt, an dem mich die Leute nicht fragen, woher ich komme. Damit nehmen sie Bezug auf meine dunkle Hautfarbe, mein lockiges Haar und meine dazu wohl untypischen europäischen Gesichtszüge.

In der Schweiz werde ich oft als schwarz bezeichnet – politisch ist das auch korrekt. Es geht dabei nicht um die Hautfarbe: Schwarz sind Menschen, die nicht weiss sind und damit einen gemeinsamen Erfahrungshorizont in einer mehrheitlich weissen Gesellschaft haben.

Als ich vor ein paar Wochen durch Tansania reiste, war ich dann aber weder schwarz noch weiss. Ich gehörte plötzlich einer ganz eigenen Gruppe an. Also musste ich täglich erklären, „was“ ich genau bin, und Fotos meiner weissen Mutter und meines schwarzen Vaters zeigen.

Sprache ist nicht neutral

Man könnte denken, dass es gar keine Rolle spielt, wie man jemanden bezeichnet, denn wichtig ist doch bloss, was man mit seinen Worten meint. Leider falsch, denn Sprache ist weder natürlich noch neutral: Sie kommuniziert Kultur, verfestigt Werte und Gedanken und muss deshalb auch immer wieder neu hinterfragt werden.

Kürzlich schrieb ich einen Artikel über das Black Business Women Event in Berlin – einen Anlass, zu dem ich eingeladen wurde, um mit anderen schwarzen Frauen über unsere Arbeit und gemeinsamen Erfahrungen zu sprechen. In diesem Artikel benutzte ich für die optische Beschreibung meiner selbst das Wort „dunkelhäutig“. „Black“, wie wir es im Englischen verwenden – auf Deutsch also „schwarz“ – passt für mich nicht.

Für mich fühlt es sich grundsätzlich falsch an, die Welt in Schwarz und Weiss einzuteilen. Dabei gehen nämlich wir vergessen. Wir, die beides sind, schwarz und weiss, und deshalb noch einen ganz anderen Erfahrungshorizont haben. Wenn ich beispielsweise in Ghanabin – dem Herkunftsland meines Vaters – dann bin ich nicht schwarz. Ich müsste daher in jedem Land meine Bezeichnung entsprechend anpassen.

Aber ich habe nicht dasselbe erlebt wie eine schwarze Person, auch nicht wie eine weisse oder „coloured“-Person in Südafrika, von denen meistens beide Elternteile weisse und schwarze Vorfahren haben.

Meine „weisse“ Kultur

Ich habe eine ganz eigene persönliche Geschichte, nämlich die einer Afro-Europäerin. Ich bezeichne mich nicht als schwarz, weil meine „weisse“ Kultur in der Bezeichnung nicht zur Geltung kommt.

Der in meinem Artikel über das Black Business Women Event verwendete Begriff „dunkelhäutig“ stiess teilweise auf Abneigung – einige schrieben mich verwundert an, wieso ich das Wort benutze. Und es stimmt: Die Bezeichnungen „hellhäutig“ und „dunkelhäutig“ sind Überbleibsel aus der längst widerlegten Rassenpolitik, die dunklere helleren Menschen unterordnete.

Wenn wir aber auf die Begriffe „hell- und dunkelhäutig“ verzichten, so müssten wir konsequenterweise auch auf den Begriff „schwarz“verzichten. Denn war nicht auch dieser oft negativ belegt? Und ist das teilweise immer noch?

In der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, wurde uns stets beigebracht, dass schwarz böse und weiss gut ist. Man muss nur kurz über folgende Wörter und Redewendungen nachdenken: weisse Weste, weisswaschen, Schwarzgeld, schwarze Magie, schwarzfahren. Sogar Spiderman wird schwarz, wenn er seine moralischen Grenzen überschreitet. Dabei ist schwarz natürlich nicht von Natur aus böse oder schlecht, sondern wurde von unserer Gesellschaftso konstruiert.

Noch ein Beispiel: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“, ein Spiel, das ich im Kindergarten und später in der Schule gespielt habe. Der einzige schwarze Mann war für mich mein Vater, der mich von der Schule abholte. Keiner meinte es beim Spiel wirklich böse, aber wir Kinder lernten, dass man vor schwarzen Männern Angst haben muss und wegrennen sollte.

Die Stereotypen in unserer Sprache

Dennoch bin ich nicht prinzipiell dagegen, den Begriff „schwarz“ zu benutzen – meinen Vater bezeichne ich ja auch so. Und es ist nicht unsere Schuld, dass Stereotype in unserer Sprache verankert sind. Aber es liegt an uns, nachzudenken, bevor wir sprechen, und unseren Kindern eine Sprache beizubringen, in der die Menschen gleichwertigsind. Denn Vorurteile können nur so lange existieren, wie wir sie wiederholen.

Und wie soll man eine Person wie mich nun nennen – die schwarz und weiss ist? Am besten beim Namen. Ansonsten finde ich den Begriff Afro-Europäerin am treffendsten. Denn dieser bleibt gleich, egal wo ich mich befinde. Er beschreibt den geschichtlichen Hintergrund, ohne auf meine Hautfarbe direkt Bezug zu nehmen. Grundsätzlich sollte man jede Person so nennen, wie sie es sich selbst ausgesucht hat.

Der Artikel wurde in der Print-Ausgabe vom 20-Minuten Magazin Friday veröffentlicht und im Onlinemagazin.